Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters

AWARE-Studie: Tägliche rassistische Diskriminierungserfahrungen und psychische Gesundheit von Jugendlichen

 

PI: Aleksandra Kaurin, Anna BaumertSlieman Halabi

Projektlaufzeit: 2023-2025

Förderung: Heidehof-Stiftung, Antidiskriminierungsstelle des Bundes

AWARE-Studienteam, v.l.n.r.: Lukas Braun, Cara Wicher, Prof. Dr. Aleksandra Kaurin, Nicolas Mejeritski, Julia Riuzki, Hannah Matz, Ece Aleyna Demirgüneş, Prof. Dr. Anna Baumert, Lindita Zeqa

In den Wochen nach der Ermordung von George Floyd, der Medienberichterstattung über den Mord an Ahmaud Arbery sowie der Tötung von Breonna Taylor kam es zu einer weltweiten Welle von Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung. Forderungen nach einem nachhaltigen Abbau rassistischer Strukturen gingen weit über Akte der Polizeigewalt in den USA hinaus und bezogen sich auf Disparitäten in diversen sozioökonomischen Lebensaspekten (Zajak et al., 2021). Die ist von hoher Relevanz, da zahlreiche Studien darauf hinweisen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche, die einer ethnischen Minderheit angehören, langfristig ein erhöhtes Risiko aufweisen, an einer psychischen Störung zu erkranken (Dingoyan et al., 2017; Pachter et al., 2009). Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass Betroffene in ihrem Alltag gehäuft mit rassistischer Gewalt und Diskriminierung (z.B. Abwertungen, Ungleichbehandlungen) konfrontiert sind (Pascoe & Smart Richman, 2009), die über Akkumulationsprozesse zu einer Vulnerabilität für psychische Störungen führen (Benner et al., 2018). Dennoch sind Diskriminierungserfahrungen und damit einhergehende Belastungsprozesse im Alltag von Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland als Kinder von Migrant:innen bzw. geflüchteten Menschen geboren oder als Kinder selbst nach Deutschland geflohen sind, nicht ausreichend untersucht (von Lersner et al., 2015).

Besonders wenig bekannt ist über Jugendliche und junge Erwachsene mit sog. »hybriden Identitäten«, d. h. jenen, die sich weder eindeutig als PoC oder Weiß einordnen, oder jene, die eindeutig als Weiß gelesen werden (BAfF, 2020, S. 26 f.). Auch Migrant*innen aus (süd)osteuropäischen Nachbarländern sind in Deutschland von Vorverurteilungen und Ressentiments betroffen (z.B., Geflüchtete des Genozids im ehemaligen Jugoslawien, Einwanderer*innen aus der Sowjetunion bzw. der Länder des Warschauer Paktes, Geflüchtete aus der Ukraine). Hans-Christian Petersen weist in einer aktuellen Studie darauf hin, dass durch die Reduzierung von Rassismus auf Hautfarbe „all jene Opfer von Rassismus ausgeschlossen [werden], deren gesellschaftliche Positionierung nicht dieser Dichotomie entspricht. Das wichtigste Beispiel hierfür sind Menschen aus dem östlichen Europa, die fast die Hälfte aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ausmachen“ (Petersen, 2022) und deren Diskriminierungserfahrungen noch weitgehend unerforscht sind (Othmann, 2022).

Obwohl die Adoleszenz allein bereits eine Entwicklungsphase erhöhter Vulnerabilität ggü. psychischen Störungen darstellt, beschäftigen sich die wenigen, meist qualitativen Studien in Deutschland vornehmlich mit den Folgen des Migrationsprozesses und kulturellen Differenzerfahrungen im Gesundheitswesen, die erwachsene Migrant:innen erfahren (Yeboah, 2017). Aus diesem Grund besteht das Ziel des Projekts darin, eine Tagebuchstudie zur systematischen Untersuchung diskriminierender und rassistischer Erfahrungen im Alltag von Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Auf diese Weise werden die Besonderheiten der Belastungs- und Bewältigungserfahrungen betroffener Kinder und Jugendlicher zu charakterisieren versucht, die eine vermittelnde Rolle in der Entstehung psychischer Störungen spielen könnten. Eine solche sog. intensiv-längsschnittliche Datenerhebung ist ein wichtiger Schlüssel zu unserem Verständnis langfristiger Akkumulationsprozesse des Belastungserlebens Betroffener, da die so erfassten Erfahrungen genau diejenigen sind, die für teilnehmende Jugendliche von zentraler Bedeutung sind. Langfristig soll auf dieser empirischen Datenbasis die Bedeutung notwendiger rassismussensibler Transformationen in den Versorgungsstrukturen für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche diskutiert und so, im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe, Maßnahmen für eine adäquatere psychotherapeutische Versorgung Betroffener in der BRD (und darüber hinaus) entwickelt und erprobt werden.

Kooperationspartner*innen: Ursula Moffitt, Wheaton College Massachusetts

Referenzen:

BAfF e. V. (2020). »Wir müssen reden«. Rassismus thematisieren in mehrheitlich weißen Beratungs- und Therapiestrukturen im Kontext Flucht. Berlin: BAfF e. V. Verfügbar unter: https://www.baff-zentren.org/ aktuelles/wir-muessen-reden-rassismusthematisieren/ [17. 06. 2022].

Benner, A. D., Wang, Y., Shen, Y., Boyle, A. E., Polk, R., & Cheng, Y. P. (2018). Racial/ethnic discrimination and well-being during adolescence: A meta-analytic review. American Psychologist, 73(7), 855.

Dingoyan, D., Schulz, H., Kluge, U., Penka, S., Vardar, A., von Wolff, A., Strehle, J., Wittchen, H. U., Koch, U., Heinz, A. & Mösko, M. (2017). Lifetime prevalence of mental disorders among first and second generation individuals with Turkish migration backgrounds in Germany. BMC Psychiatry17(1). https://doi.org/10.1186/s12888-017-1333-z

Othmann, Ronya (2022): Die blinden Flecken antirassistischer Diskurse. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 27.04.2022, https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/507449/die-blinden-flecken-antirassistischer-diskurse/

Pachter, L. M. & Coll, C. G. (2009). Racism and Child Health: A Review of the Literature and Future Directions. Journal of Developmental Behavioral Pediatrics30(3), 255–263.

Pascoe, E. A. & Smart Richman, L. (2009). Perceived discrimination and health: A meta-analytic review. Psychological Bulletin135(4), 531–554. https://doi.org/10.1037/a0016059

Petersen, Hans-Christian (2022): Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus. In: Veronika Kiesche: Jüdische (Un-)Sichtbarkeiten. Verhandlungen von Antisemitismus und anti-slawischem Rassismus in der zweiten Generation jüdischer Kontingentflüchtlinge, https://minor-kontor.de/wp-content/uploads/2022/12/Minor_WorkingpaperVII.pdf, S.9

von Lersner, U., Pleger, M., Baschin, K., Morina, N. & Fydrich, T. (2015). Psychische Belastung von Jugendlichen. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie44(3), 147–158. doi.org/10.1026/1616-3443/a000306

Yeboah, A. (2017). Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland. In: Fereidooni, K., El, M. (eds) Rassismuskritik und Widerstandsformen. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14721-1_9

Zajak, S., Sommer, M. & Steinhilper, E. (2021). Black Lives Matter in Europa – Antirassistischer Protest in Deutschland, Italien, Dänemark und Polen im Vergleich. Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 34(2), 319–325. doi.org/10.1515/fjsb-2021-0028

zuletzt bearbeitet am: 26.09.2024

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